Totentanz der Toraja – Sulawesi

Als wir Markus in seinem Taxi zum Flughafen hinterhergewinkt haben, dachten wir uns: So muss es sich für Eltern anfühlen, wenn ihr einziges Kind aus dem Elternhaus auszieht. „Was machen wir jetzt?“ – Wir waren nach 15 Tagen Besuch wieder allein!

Da ist das Ding

Dank Express-Bestellung und deutscher Pünktlichkeit bekam ich noch vor Ablauf der 3 Wochenfrist die Mitteilung, dass ich meinen neuen Reisepass abholen kann. Somit steht der Weiterreise auch kein großer Länderstempel oder -aufkleber, die teilweise eine ganze Seite in Anspruch nehmen, mehr im Weg.

Eine Nacht als Weltreisender

Ich muss 19 oder 20 Jahre alt gewesen sein, als wir gerade mit der ersten Maschine am Frankfurter Flughafen aus Spanien ankamen und man überall auf den Sitzbänken, Böden und in irgendwelchen Nischen Menschen auf ihrem Sack und Pack schlafen sehen konnte. Für mich war das damals der Inbegriff vom Globetrotter. Reisende zwischen den Welten, gerade auf dem Sprung zum nächsten Flieger, dem nächsten Abenteuer.

Da lagen wir nun – im KLIA2 Flughafen in Kuala Lumpur zwischen zwei Blumenkübeln. Noch schnell die Entscheidung gegen die Hartschalen-Plastiksitze und Laminat (zu kühl) und für Teppich getroffen, um in den nächsten 3 Std. wenigstens eine Mütze voll Schlaf zu bekommen. Die „Premium-Schlafplätze“ mit Stromversorgung zum Aufladen aller Gerätschaften waren schon lange an die unzähligen Anderen vergeben. Das Laufgeräusch der grauen Plastikbehälter, in die man beim Transit-Security Check nebenan die Sachen durch den Scanner befördert, weckte uns schon 15 min vor dem Wecker und ich muss sagen, ich hatte schon schlechtere Nächte. Mein damaliges Ich wäre stolz auf uns!

Schlaflos im Kino

Nach ein wenig Schlaf auf dem Boden folgte der Weiterflug nach Makassar im Süden der indonesischen Insel Sulawesi. Dort angekommen, organisierten wir uns erstmal ein Ticket für den Nachtbus um ins Zentralhochland von Sulawesi, nach Rantepao zu kommen. Das Ticket war kein Problem. So ging es für uns um 21 Uhr mit der Busgesellschaft Primadona in der Luxusklasse für 12 Euro (180.000 IDR, 8 Stunden Fahrt) direkt weiter.

Nachdem wir den Ticketkauf schnell abhaken konnten, hatten wir den Tag noch zu füllen, zeigte unsere Uhr gerade erst 11 Uhr an als wir das Busticket in der Hand hatten. „Komm wir gehen ins Kino, da ist es schön dunkel und wir können für 2 Euro noch etwas Schlaf nachholen“ – so Sandras Idee. An Schlaf war bei der Neuverfilmung von Ghostbusters natürlich nicht zu denken. Der Film war erstens zu unterhaltsam und zweitens die Lautstärke selbst für asiatische Verhältnisse etwas zu laut. Irgendwann war doch Abend und los ging die Fahrt. Die Sitze waren so flauschig und komfortabel, da wäre selbst der eine oder andere aus der Flugzeug Business-Class ganz neidisch drauf. So fackelten wir nicht lange und mümmelten uns in die frisch gewaschene Decke ein, Schlafbrille an, Ohrstöpsel rein und – Selamat Tidur, sprich Gute Nacht.

Was ist denn hier los?

Eine von Souvenirläden übersäte Hauptstrasse, die mit ihrem üblichen Einheitsbrei versucht den Touristen Staubfänger zu verkaufen, Hotels und Unterkünfte die nicht ins Stadtbild passen und trotzdem gebaut wurden, Touranbieter, die den Massen an Touristen einen besonders „guten“ Preis für ihre Dienstleistungen anbieten, sind in Rantepao Fehlanzeige! Das furchtbar unaufgeregte Städtchen hat gerade mal so viele Unterkünfte dass die wenigen Touristen darin während der (Beerdigungs-)Saison von Juli bis Anfang September Platz finden. Wir werden überall neugierig und freundlich empfangen und hatten somit sofort das Gefühl hier willkommen zu sein.

Doch warum fährt man eigentlich einen so weiten Weg nach Tana Toraja? Unsere Recherchen, ein Bericht auf Melissa`s tollem Reiseblog für Indonesien (Indojunkie), gepaart mit den Erzählungen der Mädels (Nina und Angela), die wir auf den Bunaken kennengelernt haben, machten uns neugierig das über Jahrtausend alte Beerdigungsritual der Toraja einmal selbst anzusehen.

Jetzt geht alles ganz schnell

Der Bus setzte uns schon gegen 5 Uhr morgens ab, so dass wir pünktlich vor dem Frühstück in unserer gemütlichen Unterkunft Pias Poppies angekommen sind. Wie immer war unser Plan – nach morgendlicher Stärkung – sich erst mal zu orientieren und einen Guide für eine der Beerdigungen in den kommenden Tagen zu organisieren.

Der Frühstücksraum füllte sich nach und nach mit Gästen aus aller Welt und eine Beobachtung, die wir schon auf den Bunaken gemacht haben, setzte sich fort: Man kennt sich! Da die meisten Sulawesi-Besucher entweder von Süden nach Norden reisen oder umgedreht, trifft man sich alle paar Stationen wieder und freut sich, dass es wieder mal geklappt hat, bevor man sich kurz darauf wieder trennt. Das hat schon etwas familiäres wenn alle beim Essen bunt gewürfelt zusammensitzen und von dem jeweils Erlebten erzählen. So setzten sich Renate und Johannes an unseren Frühstückstisch und wir kamen direkt ins Gespräch. Man war sich sofort sympathisch. Die zwei Berliner haben uns angeboten mit ihrem Guide inkl. Fahrer direkt nach dem Frühstück eine Tagestour ins Umland zu machen – das lief ja alles besser als vorgestellt.

Leicht müde besuchten wir zuerst einen der Toraja-Friedhöfe (Ke’te Kesu), wo die Gräber mühevoll in den Fels geschlagen werden und immer eine ganze Familie darin Platz findet. Eine komplette Felswand ist dann die letzte Ruhestätte für einen ganzen Clan. Einmal im Jahr, versammeln sich die lebenden Familienangehörigen dort, gedenken der Verstorbenen. Alle paar Jahre werden die Grabstätten von innen gesäubert und den Toten neue Gewänder angezogen. Um das zu machen, räumen sie die Überreste der Toten vorsichtig heraus – nicht ohne Opferung und Gebet zuvor, damit sie diese auch anfassen dürfen. Uns wird schnell klar, man hat hier einen anderen Umgang mit dem Tod.

Friedhof

Unsere Gruppe

Fest für die ganze Familie

Weiter ging die Fahrt in eins der nahegelegenen Dörfer um uns eine der Beerdigungszeremonien anzuschauen.

Nach ihrem Tod lag Ibu (Mama) Dina Limbong noch mindestens ein Jahr lang (meist sind es sogar mehrere Jahre) in ihrem Schlafzimmer, mumifiziert, mit dem Kopf Richtung Paradies (Süden) und inmitten ihrer Familie. Erst jetzt liegt Dina in einem roten Sarg mit blauem Dach darüber inmitten eines riesigen, extra für sie errichteten Festplatzes vor uns. Bis zur heutigen Beerdigung galt sie für die Torajer nur als krank und wartete auf ihren würdigen Abgang. Erst wenn die Zeremonien vorüber sind und Büffel für ihren Transportweg in den Himmel geopfert sind, ist sie für die Familienmitglieder tot.

Der Festplatz wurde in den letzten Wochen und Monaten sehr aufwendig aus dem Nichts erbaut, die schön verzierten offenen Bambushütten werden den angereisten Gästen als Aufenthaltsort dienen und danach wieder abgerissen. Für die kommenden Tage wird der Platz Dreh- und Angelpunkt der Feierlichkeiten sein.

Festaufbau

Festtagskleidung

Das Lebensereignis der Toraja

Paradoxerweise ist der Tod DAS Lebensereignis der Toraja und man arbeitet sein ganzes Leben daraufhin. Kein stiller Abgang, sondern ein mehrtägiges, rauschendes Fest soll es sein. Dass die Toraja mit ihren Beerdigungen lange warten, ist Tradition. Damit die GANZE Familie teilnehmen kann, wird nach einem passenden Termin gesucht, auch wenn z.B. eine bereits geplante Hochzeit dafür verschoben werden muss. Daher ist in der Ferienzeit von Juli bis Anfang September hier Hochbetrieb und es reisen viele Weggezogene aus ganz Indonesien an, um es sich in einer der Bambushütten bequem zu machen.

Als ausländische Gäste sind wir willkommen, solange wir mit einem Guide (450.000 IDR = 30 Euro/Tag) unterwegs sind, der die Familie kennt und uns die verschiedenen Rituale und Verhaltensregeln erklärt. Es passiert aber auch, dass Touristen ohne Guide an den Zeremonien teilnehmen. So saßen wir mit Renatas (wie der Guide Renate nennt), Johannes und unserem Guide Rantetonka in einer der Bambushütten, als der Sohn der Verstorbenen zu uns kam, um uns zu begrüßen. Wir übergaben ihm die Gastgeschenke: Zigaretten, Gummibärchen und andere Süßigkeiten. Als Dank bekamen wir einen Kaffee und kleine lokale, süße Snacks bevor die Zeremonie kurz nach 12 Uhr richtig losging.

Neben einem kleinen Tanz der Angehörigen um den Sarg wurden drei Büffel vorgeführt, die (und noch mehr) in den kommenden Tagen geopfert werden, damit sie Dinas Seele auf dem letzten Weg davontragen können. Im Hintergrund hört man immer wieder eins der an Bambus angebundenen Schweine um sein Leben quieken. Man braucht kein Hellseher zu sein um zu wissen, dass die Angst des Schweins völlig berechtigt ist.

Unsere Gruppe + Sohn der Familie

Ein Party-Tier

Ein Schweinchen Namens Babe.

Lautloses Massaker

Ab jetzt bitte nur die weiterlesen bzw. Bilder schauen, die mit dem Töten von Tieren und Blut keine Probleme haben!

Zum ersten Mal sehe ich aus nächster Nähe mit an, wie mit einem schnellen und kraftvollen Schnitt einem Lebewesen vor mir die Kehle durchgeschnitten wird. Der Puls pumpt das Blut des Büffels im Takt des Herzens heraus. Nach wenigen Sekunden sinkt das Tier zusammen. In der Luft hängt ein Geruch von Eisen. Zu hören ist von dem Massaker fast nichts. Die rote Lache breitet sich mehr und mehr aus, der Büffel bäumt sich noch einmal auf, versucht zu fliehen. Blut spritzt bevor das Tier wenig später vor unseren Augen in seine Einzelheiten zerlegt wird, damit die Gäste zum Abschied etwas Fleisch mitnehmen können.

Es folgt ein Ablauf in dem die Verwandten immer neue Formationen und Sitzpositionen annehmen, während ihre Namen und die mitgebrachten Geschenke über ein Mikrofon laut vorgelesen werden. Die meisten Gäste/Verwandten haben, der Tradition folgend, Schweine mitgebracht. Das Ganze wird wohl feinsäuberlich notiert, steht man bei demjenigen in der Schuld wenn er dann einmal selbst in dem Sarg liegt. Also ein ausgeklügeltes System, kann man sagen.

Als wir gerade gehen wollen, sehen wir wie eins der vorhin noch quiekenden Schweine mit einem gezielten Stich ins Herz schnell getötet wird, ehe es ausgenommen und dann mit einem selbstgebauten Flammenwerfer die Haare vom Körper gebrannt bekommt, während die Kinder direkt daneben stehen. Ein kleiner Junge spielt sogar noch mit der Schnauze des toten Tieres.

Auch wenn das alles für uns nicht gerade gewohnt ist, waren wir doch sehr beeindruckt von der Zeremonie. Ebenso von der Herzlichkeit und Offenheit mit der uns die Familie in ihre Mitte aufgenommen hat. Während bei uns immer mehr Kinder gar nicht wissen, wie das abgepackte Fleisch im Supermarkt mal im Ganzen ausgesehen hat, ist es hier natürlich das krasse Gegenteil. Anfangs dachten wir noch „die armen Kinder“, aber es scheint ihnen nichts auszumachen und unterm Strich werden sie von klein auf an den Umgang mit dem Tod herangeführt und haben dementsprechend keine Berührungsängste mit diesem Thema und den toten Tieren.

Leider haben einige der Guides ihre Gruppe nicht im Griff oder besser gesagt ein paar Touristen-Chaoten einfach keinen Respekt vor der Sache selbst. Trotz ihrer Super-Zoom-Kameralinse müssen sie so nah an das blutige Geschehen und die Familie heran, dass vorne an dem Objektiv eigentlich schon Blut kleben müsste. Außerdem stehen sie der Prozedur ständig im Weg  – mitten drin statt nur dabei. Da war mal wieder Fremdschämen angesagt

Warum liegen hier überall Knochen herum?

Zum Abschluss führt uns der Guide noch in eine Art Freilichtmuseum, wo wir uns ein traditionelles Wohnhaus, welche man durch ihr auffallend geschwungenes Dach schon von Weitem erkennen kann, ansehen. Bis auf wenig Platz ist hier alles vorhanden.

Hinter dem Haus wartet ein weiterer Friedhof. Ebenfalls müssen wir unseren Kopf in den Nacken legen, doch diesmal ist mehr zu sehen, als uns vielleicht lieb ist. Die Holzsärge wurden hier aussen an den Fels gehängt. Somit liegt es in der Natur der Sache dass entweder das Holz des Sarges morsch wird und bröckelt und somit den Blick auf die verbleibenden Knochen freigibt, oder die Halterung aus Holz das Gewicht nicht mehr tragen kann und der ganze Sarg herunterkracht und sich die Überbleibsel auf dem Boden verteilen. Hab ich schon erwähnt dass man hier einen anderen Umgang mit dem Tod hat.

Der weltbekannte Hochlandkaffee

Beim leckeren Abendessen im Pias mit den anderen Reisenden das Erlebte vom Tag ausgetauscht, ging es nach zwei Nächten ohne Bett (1x Boden und 1x Bus) zeitig schlafen damit wir für die Motorrad-Erkundungstour am nächsten Tag ausgeruht sind.

Am nächsten Morgen ging es dann durch eine beeindruckend schöne und vor allem saftig grüne Landschaft, vorbei an jeder Menge lebender Büffel und winkenden Kindern, die hier noch nicht all zu viele „Weiße“ gesehen haben. Nach einem Stopp in einem der Kaffees in der Stadt fragten wir kurzerhand nach dem Lieferanten für den weltbekannten Toraja Kaffee und schon eine Straße weiter waren wir am Ziel eines jeden Kaffee-Liebhabers angekommen. Der Toraja Kaffee wird ausschließlich in kleinen Familienplantagen, völlig ohne Dünger dafür aber mit viel Liebe erzeugt. Die wertvollen Mineralien des Hochlandes tun dann ihr Übriges für dieses lecker schwarze Getränk, von dem wir uns erst einmal ein Paket kauften.

Was eine kurze und intensive Zeit! Nochmal nach Sulawesi zurückzukommen und den Trojas einen Besuch abzustatten hat sich trotz der langen Anreise gelohnt. Auch das Zusammengehörigkeitsgefühl der Reisenden auf Sulawesi hat uns imponiert, stellen wir doch mehr und mehr fest, dass „Backpacker“ mehr mit ihren Smart-Devices beschäftigt sind, als sich mit den Mitreisenden am Nachbartisch auseinander zu setzten. So wie das früher oder selbst noch vor wenigen Jahren der Fall war.

Wir ärgern uns schon ein wenig dass wir nicht der abwechslungsreichen Insel viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt haben, aber immerhin haben wir zwei mal ein paar tolle Tage hier erleben dürfen.

Neben den hier gezeigten Bilder sind viele weitere online. Auch blutige, aber vor allem sehr schöne unblutige.

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Weltreise 2.0

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Let’s get wet – Tauchen in Amed & Nusa Lembongan (2)